Adipositas, Neue Wege in Forschung und Therapie - Forschungsnetz bietet neue Möglichkeiten für Forschung und praktische Anwendung
Berlin, Juni 2010 - In Deutschland leiden rund 16 Millionen Menschen an krankhaftem Übergewicht. Ernährungsbedingte Erkrankungen verursachen jährlich etwa 70 Milliarden € (im Jahr 2004) an Kosten für das Gesundheitswesen. Die WHO hat bereits vor vielen Jahren festgestellt: „Adipositas ist eine chronische Erkrankung“, doch diese Auffassung hat nicht überall Konsequenzen gefunden.
In Deutschland wurde Adipositas von Behörden und Krankenkassen bislang nicht als Krankheit anerkannt, sondern allenfalls als Risikofaktor für die Entstehung von Folgeerkrankungen wie Diabetes mellitus und Leberverfettung. „Dies hat nicht nur Nachteile für die Betroffenen erbracht, sondern auch für die Forschung, denn bislang wurde Adipositas nicht explizit im Rahmen klinischer Forschung unterstützt,“ sagte Prof. Dr. Stephan C. Bischoff, Direktor des Instituts für Ernährungsmedizin Universität Hohenheim in Stuttgart, anlässlich der „Ernährung 2010“ in Leipzig. Dies habe sich mit dem Klinischen Kompetenznetzwerk Adipositas zum Positiven hin geändert. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert seit 2008 acht ausgewählte Forschungsverbände in Deutschland, die gezielt Adipositasforschung betreiben. Daraus ist ein neues Kompetenznetz Adipositas in Deutschland entstanden. Das Forschungsprojekt ist auf zwölf Jahre angelegt und wird in der Anschubphase mit zehn Millionen Euro gefördert.
Dazu gehört unter anderem der Forschungsverbund „Obesity and the Gastrointestinal Tract“ (OGIT). „Das Essverhalten wird über das Gehirn und durch Hormone gesteuert und beeinflusst dadurch den Aufbau von Fettgewebe. Es gibt jedoch Hinweise, dass auch der Magen-Darm-Trakt an der Steuerung der Gewichtszunahme beteiligt ist“, sagt Prof. Bischoff, der Sprecher des OGIT ist. Neben Appetitzüglern, die das Essverhalten über das Gehirn bremsen sollen, könne eine zukünftige Generation von Medikamenten auch über den Magen-Darm-Trakt (Gastrointestinaltrakt) wirken. Dies ist jedoch noch in der Erforschung und bis zu praktischen Anwendung ist es noch ein weiter Weg. In dem Projekt werden neben der Grundlagenforschung auch Therapieverbesserungen entwickelt und Patienten direkt mit einbezogen. Ziel des Forschungsverbundes ist, die Rolle des Magen-Darm-Traktes für die Entstehung und Behandlung von Adipositas durch in-vitro- und in-vivo-Ansätze mit geeigneten Tiermodellen zu untersuchen. Ebenso sollen die gewonnenen Erkenntnisse auf den adipösen Menschen übertragen werden, indem definierte Interventionen zur Gewichtsreduktion („Very-low-Calorie-Diet“ basierende Programme beziehungsweise bariatrische Chirurgie – Eingriffe zur Erleichterung einer Gewichtsreduktion) beim Menschen eingesetzt werden. Insbesondere soll geklärt werden, ob der Magen-Darm-Trakt ein neues Zielorgan für zukünftige Interventionen sein könnte, ob pathophysiologische (krankhaft veränderte Körperfunktionen) Veränderungen im Gastrointestinaltrakt bisherige diätetische Ansätze oder chirurgische Strategien modifizieren könnten. Erkenntnisse zum Zusammenhang zwischen Adipositas und Gastrointestinaltrakt könnten somit sehr nützlich für zukünftige Management-Strategien zur Prävention oder Behandlung von Adipositas sein.
Operative Verfahren sorgen für Gewichtsverlust
Insbesondere die chirurgischen Verfahren bei krankhaftem Übergewicht haben sich wesentlich weiterentwickelt und konnten ihre Effektivität auf hohem Niveau belegen. Eine neuere Entwicklung ist der „Gastric Sleeve“, bei dem die Darmanatomie unverändert bleibt, aber der Magen zu einem Schlauch verkleinert wird, so dass er weniger resorbiert und insbesondere weniger appetitfördernde Hormone freisetzt.
Mit dem sogenannten „Gastric Bypass“ können stark übergewichtige Menschen zum Beispiel bis zu 50 Prozent ihres Gewichtes verlieren. Bei dieser Methode wird operativ eine Umleitung des Darmes umgesetzt. Es entsteht zunächst ein kleiner Restmagen, der keine Verbindung mehr zum ursprünglichen Magenausgang besitzt und an die Dünndarmwand angeschlossen wird. Der Zwölffingerdarm wird somit umgangen. Die Nahrung passiert nach der Speiseröhre den kleinen neugebildeten Magen und fließt direkt in den Dünndarm. Diese Veränderung der Anatomie führt dann zu dem gewollten Gewichtsverlust.
Bei konservativen Therapieverfahren ist zum Beispiel das Optifast-Programm eine sinnvolle Hilfe für Menschen mit krankhaftem Übergewicht. Das Programm ist ein einjähriges, medizinisch und psychologisch begleitetes Programm zur Gewichtsreduktion und zum dauerhaften Halten des Gewichts. In der so genannten Fastenphase besteht die Nahrung aus einer Formula-Diät (Fertigprodukte). Das ambulante Therapieprogramm wird in rund 40 Zentren in Deutschland und Österreich angeboten.
Ansprechpartner
Prof. Dr. Stephan C. Bischoff
Institut für Ernährungsmedizin
Universität Hohenheim
Tel.: 0711 459-24100
E-Mail: Bischoff.stephan [at] uni-hohenheim.de