Basisfachkurs „Ernährungsmanagement und Pflege 2019“ in Reutlingen
Ernährung im Krankenhaus ist ein tagtägliches Ereignis mit hoher Relevanz, vielen Akteuren und einer ausbaufähigen Priorität. Studien zeigen schon lange, dass ein guter Ernährungszustand der Patienten zu enormen Kostenersparnissen durch kürzere Liegedauer, weniger Komplikationen und selteneren Klinikaufenthalten führt. Die Relevanz für den Patienten in Form von Rekonvaleszenz und Lebensqualität ist jedoch nicht mit Geld zu bezahlen und daher unermesslich. Um der Herausforderung eines guten Ernährungsmanagements noch besser nachkommen zu können, haben 22 Pflegefachkräfte evidenzbasiertes Fachwissen beim zweiten Reutlinger Basisfachkurs „Ernährungsmanagement und Pflege“ Ende Oktober an der Akademie der Kreiskliniken erarbeitet und ihr Wissen beim Abschlusstest gezeigt. „Jetzt freu ich mich darauf, Gelerntes umzusetzen, bzw. auch einige Ärzte anzuregen, sich mit Mangelernährung auseinander zu setzen“ oder „ … es hat unglaublich Spaß gemacht, das kann ich nur weiter empfehlen“ stand unter anderem auf zwei der 22 Rückmeldebögen am Ende des Kurses.
Der von der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM) zertifizierte Kurs vermittelte an insgesamt drei ausgefüllten Tagen erweitertes Basisfachwissen zu verschiedenen Bereichen des Ernährungsmanagements, wie ihn die Pflegefachkräfte tagtäglich erleben und verantworten.
„Mangelernährung aber auch das Risiko für eine Mangelernährung sind keine attraktiven Themen und doch betrifft es mehr als ein Viertel der stationären Patienten in Deutschlands Kliniken, dies ist schon seit Jahrzehnten bekannt“ sagt Prof. Dr. Diana Rubin vom Ausschuss „Fortbildung und Praxis“ der DGEM. Der Ausschuss hatte schon vor einigen Jahren ein ausführlicheres 100 Stunden Curriculum für Pflegefachkräfte entwickelt; darin werden zum Beispiel Themen der Ernährung in verschiedenen Lebensphasen, aber auch Kommunikation im Ernährungsmanagement oder die künstliche Ernährung vertieft bearbeitet. In Anbetracht des Fachkräftemangels in der Pflege wurde vor zwei Jahren eine Kurzform des Curriculums weiterentwickelt. „Zur Sensibilisierung und Motivation, nicht an Stelle eines längeren Kurses“ erläutert Regina Thorsteinsson, Pflegeexpertin Ernährungsmanagement (MScN) und Leitung des Kurses. „Eine Freistellung der Pflegekräfte für 2 + 1 Tag ist eher möglich als Mitarbeiter für 2 x 1 Woche plus Lernzeit von der Station zu entbehren“. So hat das Klinikum Reutlingen in diesem Jahr 17 Pflegekräfte freigestellt - ohne Patientenklingeln, Telefonanrufe, piepsenden Infusionsgeräte oder Anfragen aus der zentralen Notaufnahme konnten sich die Teilnehmer mit der Ernährungsproblematik im klinischen Alltag auseinander setzen und sich ohne Zeitdruck in verschiedene Problematiken hineindenken und mit ihrem täglichen Alltag vergleichen. Praktische Erfahrungen mit allen Sinnen, z.B. beim Testen von Trinknahrungen, Zubereiten von einfachen Speisen mit Hilfe von Energie- / Eiweißanreicherung oder beim Erstellen von ernährungsrelevanten Pflegeinterventionen haben zu lebhaften Diskussionen und regem Erfahrungsaustausch geführt. Die Referenten aus den pflegenahen und ernährungsrelevanten Bereichen waren jedes Mal auch noch nach den Unterrichtseinheiten gefragt, egal, ob ärztlicher Dienst, ernährungsmedizinische Beratung, pflegewissenschaftliche Mitarbeit oder Diätassistenz aus der Klinikküche.
Pflegefachkräfte halten das Ernährungsmanagement für enorm wichtig, sehen sich jedoch auch unter gewaltigem zeitlichem Druck. Die Unterstützung durch Stationshilfen und Servicekräfte ist nicht mehr wegzudenken, was manchmal allerdings auch bedeutet, dass einzelne Informationen nicht mehr im medizinischen Behandlungsteam ankommen. Im Kurs wurde die Komplexität und Herausforderung des Ernährungsmanagements an vielen Stellen deutlich, die Verantwortung des Arztes, wann und wie wird die ernährungsmedizinische Beratung eingeschaltet, was kann die Klinikküche leisten und was nicht – diese Zusammenarbeit erfordert viel Fachwissen, Professionalität, eine motivierende und fachliche Kommunikation sowie häufig eine unbürokratische Lösungsfindung, wenn mal wieder alle Stricke reißen. Die Teilnehmer des Kurses waren zunächst an so mancher Stelle skeptisch, ob eine Umsetzung in der Praxis möglich sei - nach dem Kurs mit Abschlusstest waren alle mutig und motiviert für einen Anwendungsversuch im Alltag. „Die Sensibilisierung hat einen gewaltigen Schub bekommen, nach dem Kurs im letzten Jahr mit 17 Teilnehmern sind die Anforderungen an die Ernährungsmedizinische Beratung sichtbar gestiegen, die Ärzte wurden von den Pflegefachkräften deutlich häufiger auf Ernährungsprobleme ihrer Patienten hingewiesen und so wurde dementsprechend interprofessionell agiert, auch die Dokumentation der Ernährung hat sich wesentlich verbessert“ erinnert sich R. Thorsteinsson an die Zeit nach dem Kurs im letzten Jahr. Ziel ist es, dass Ärzte und Pflegefachkräfte die Ernährung der Patienten noch mehr wahrnehmen, ernst nehmen und professionell intervenieren. Die Ressourcen in Form von Sensibilität und Wissen von jetzt mehr als 30 Pflegefachkräften zum Thema Ernährungsmanagement werden im Reutlinger Klinikum sowie den beiden anderen Standorten Bad Urach und Münsingen vielen Patienten zu Gute kommen. Ein weiterer Kurs wird für das nächste Jahr geplant.
Regina Thorsteinsson
Pflegeexpertin Ernährungsmanagement
Pflegedirektion
Klinikum am Steinenberg/Ermstalklinik